16. bis Charleston


Seetörn von Houston nach Charleston vom 4. bis 10. Mai 35

Müde war ich zum Umfallen aber doch gespannt, wie ich klar kommen sollte, wenn meine ganzen Bekanntschaften kämen. Wer aber kam, waren nur Charleene und Glee. Nun bereute ich es, nicht bei ihnen geblieben zu sein. Sie erzählten mir, wie sie jeden Tag auf mich gewartrt hatten. Und ich musste doch für mein Wegbleiben nach einem annehmbaren Entschuldigungsgrund suchen. Als wir ablegten weinten beide. Es sind doch wirklich nette Mädels. Molly hatte wahrscheinlich verschlafen. Die vielen Cocktails werden wohl ihre Wirkung getan haben, und die Kleine musste ja noch nach Hause fahren. Es war ja sehr spät, als wir uns trennten.

Die Fahrt ging wieder zurück durch den Kanal. Links und rechts winkten uns die ersten Weekender zu. Bei einem großen Park, mindestens 50 Meilen von Houston, sah ich plötzlich Molly. Sie winkte unentweg und rief auch etwas herüber, das ich aber nicht verstand.

Im Kanal und in See begegneteten uns viele Öltanker. Texas ist ein reiches Ölland, aber ich bin nicht dazu gekommen, die Ölfelder zu besichtigen.

Die See ist ruhig und mir kommen wieder so die Gedanken der vergangenen Tage. Man kann auch melacholisch werden, aber das Grübeln hat doch keinen Zweck. Wahrscheinlich kommt es dadurch, dass ich mich bei allem mit meiner ganzen Person einsetze.

Das Wetter ist schön, warm und ruhig, aber die oft, sehr plötzlich auftretenden Böen sind ein steter Grund zur verschärften Aufmerksamkeit. Die Gefechtsbilder vervollkommen sich immer weiter, aber eins ist die große Frage, würden sich die Leute auch so benehmen, wenn tatsächlich Treffer u.s.w. in unser Schiff einschlügen?

In der Mitte des Seetörns tauchte auf Backbord Land und eine Wolkenkratzerstadt auf. Ein Blick auf die Karte zeigte, dass es Miami war, das Bad der Millionäre. Wir fuhren bis zur 3-Meilenzone heran. Einige Motorboote kamen heran, und die Insassen machten eifrig Aufnahmen.

In der Nacht regnete es ununterbrochen, und auch beim Festmachen an der Pier in Charleston hat es nicht aufgehört.

Charleston 10. Mai 35

Charleston, der letzte amerikanische Hafen, da müssen wir doch noch besonders schöne Tage verleben! So dachten wir alle, als wir hoffnungsfreudig an Land gingen. Aber als wir einige Male die Hauptstraße auf und ab gegangen waren, uns niemand ansprach, und die Leute uns nur erstaunt ansahen, da kam ich schon so langsam in Brass. Schließlich sagte ich mir, dann sind wir zum ersten Mal hier und die Leute müssen sich erst einmal an uns gewöhnen. Im Stillen sah ich schon schwarz für die kommenden Tage. Kein Geld, 2 Dollars habe ich wohl noch bekommen, aber die reichen auch nicht lange. Dann so ohne Bekannte umherlaufen, das könnte heiter werden. Wenn ich an Houston dachte, einer der besten Häfen, dann - aber dann muss ich mir sagen: Der Soldat hat nur seiner Pflicht, nicht seinen Gefühlen zu gehorchen.

Müde, weil wir keine Anregung gehabt hatten, gingen wir an Bord zurück. Charleston ist eine verhältnismäßig alte Stadt und bietet nichts Bemerkenswertes. Die Neger fallen merkwürdigerweise nicht sehr im Straßenbild auf, obwohl sie prozentual stärker als Weiße vertreten sind. Wahrscheinlich bleiben die Neger streng auf ihre Viertel konzentriert.

Charleston 11. Mai 35

Heute ist Sonntag, und wie ich gestern schon hörte, nach englischer Sitte alles geschlossen. Dementsprechend wollte auch alle Welt wieder auf unser Schiff. Es mögen wohl 15.000 Menschen gewesen sein, die sich auf der Pier und den anschließenden Straßen drängten. 

Mit einem lächerlich kleinen Wagen fuhren wir in die Stadt, aber in den Straßen war keine Menschenseele zu sehen. Ich wollte doch Bekanntschaften mit Mädels machen, weil sie böse Stunden vergessen lassen und nicht die unangenehmen Nachwirkungen des Alkohols haben. Die ich kennen lernte verabredeten sich nur zum Schützenfest, Dienstag bis Donnerstag. Allzuviel wird das wohl auch nicht werden. Warum haben wir nur einen so müden Hafen angelaufen? Deutsche sind fast gar nicht hier, und die Amerikaner nehmen kaum Notiz von uns. Wir laufen in den Straßen umher und ärgern uns. Wenn ich nicht ein so unentwegter Anlandgänger wäre, ich bliebe auch wie die anderen an Bord.

Charleston 12. Mai 35

Meine beiden Dollars sind schon mächtig zusammengeschmolzen. Man kaufte sich Zigaretten und Sachen, die man an Bord nicht berechnen brauchte. Das Bild in den Straßen hatte sich nicht viel geändert. Die Leute in den Autos winkten wohl und machten freundliche Gesichter, das war aber alles. Mein Glücksfaden schien abgerissen zu sein.

Am Nachmittag stand ich ahnungslos an der Reling, als zwei wirklich nette Mädels auf mich los steuerten und fragten, ob ich Englisch könne. Die Kinder sahen gut aus, ich bejahte. Sie hätten heute keine Zeit, würden aber morgen wieder kommen. Sie warfen mir einen Ring zu, in dem ein 'S' eingraviert war und verschwanden. Weil ich Wache hatte, ging ich auch nicht mehr von Bord. 

Charleston 13. Mai 35

Ich war sehr gespannt auf mein neues Abenteuer, hatte ich doch den Eindruck, dass die Mädel sehr lustig sein könnten. Ich hatte mich auch nicht getäuscht. Als die beiden zur verabredeten Zeit an Bord kamen, und wir über das Schiff gingen, waren wir so lustig, wie ich selten bei einer Schiffsführung gewesen bin. So war es auch klar, dass hier schon meine Ansicht von Charleston besser wurde, denn die ist von meinen Bekanntschaften abhängig. So findet man oft, dass zwei über den selben Hafen ganz verschiedener Meinung sind. Es ist auch ganz erklärlich, wenn der eine mit netten Leuten zusammen ist und der andere nicht. 

Parker Lee ist so richtig ein kleines Romantik-Girl. So lustig, wie sie sein kann, so sentimental wird sie auch, wenn man sie küsst. Auf eine wirklich nette Art, die mir gefällt. Obwohl beide doch wirklich anständige Mädel sind, waren sie z.B. kaum zu bewegen, ins Zwischendeck herunter zukommen, weil da ein Seemann zufällig ohne Sporthemd vorbei kam. 

Abends gingen wir zum Schützenfest, von dem alle Welt so viel erzählt hat. Wären die Mädel nicht bei mir gewesen, ich hätte es öde gefunden. Es fehlte eben das, was wir Stimmung nennen. Das Freibier, das für drei Tage reichen sollte, hatten die Seeleute in kurzer Zeit schon ausgetrunken. Die Amerikaner werden sich gewundert haben.

Charleston 14. Mai 35

Hier in Charleston ist der Gegensatz zwischen Farbigen und Weißen so stark ausgeprägt, wie ich es selten zuvor gefunden habe. Während der Besuchszeit hatte auch noch kein Schwarzer unser Schiff betreten. Die Polizei achtete steng darauf. 

Die riesige Stahlbrücke, die die ganze Bai kreuzt, ist so im fertigen Zustand von Deutschland herübergekommen und hier montiert worden. Ein imponierender Bau, der aber gar nicht besonders populär zu sein scheint.

Obwohl der heutige Tag auf dem Schützenfest unsertwegen "Kreuzertag" genannt war, zog ich doch vor, mit Parker Lee und ihrer Schwester zu Hause zu bleiben. Ich nahm aber einen Kameraden mit, um nicht in die selbe Situation zu kommen, wie in Houston bei Glee und Charleene. 

Die Eltern sind einfache, aber liebe Leutchen. Sie schienen großes Vertrauen zu deutschen Seeleuten zu haben, denn kurze Zeit, nachdem Mama Parker sich überzeugt hatte, dass wir mit allem gut versorgt waren, Wein, Zigaretten u.s.w., ließen sie uns allein. Warum sollten wir auch die Leute täuschen, die uns so lieb und gastfreundlich aufgenommen hatten? Parker Lee und ich sprachen viel über Liebe, während mein Kamerad und Ellen sich als die älteren über vernünftigere Sachen unterhielten. Wir waren wieder einmal harmlos glücklich.

Charleston 15. Mai 35

An Bord hatte ich heute Gelegenheit, einmal lang und breit mit einem Amerikaner über ihren Präsidenten Roosevelt zu sprechen. Die Meinung, die dieser Amerikaner hatte, ist eigentlich typisch, denn ich habe sie immer wieder hören müssen. Er ist gewiss mit Vielem einverstanden,  aber auch viel, was die Allgemeinheit skeptisch anschaut und natürlich auch ihre Glossen darüber macht. Ich glaube, in Amerika fehlt so ein Mann wie Adolf Hitler in Deutschland.

Dieser letzte Tag vom Schützenfest bot ein anderes Bild als beim ersten Besuch. Es waren viele Leute dort, und es kam im Laufe des Abends sogar etwas wie Festfreude auf.

Charleston 16. Mai 35

Da das Schützenfest gestern Abend seinen Höhepunkt und Abschluss gefunden hatte, ist an öffentlichen Veranstaltungen nichts mehr zu erwarten. Es macht mir nichts aus, denn ich habe doch auch hier nette Bekannte gefunden, bei denen man zu Hause eine schöne Party veranstalten kann. Außerdem sind Parker Lee und Ellen zwei Mädel, die wirklich Talent zum Vergnügtsein haben, und meinen Kameraden und mich mitreißen.

Charleston 17. Mai 35

Am Nachmittag setzte ich meine letzten Cent in kleine Andenken um. An Bord kaufte ich dann noch einige Kleinigkeiten für unsere lieben Gastgeber. Sie hatten ganz energisch darauf bestanden, heute am letzten Tag, uns als ihre Gäste zu sehen vor Verlassen des amerikanischen Kontinents. Im Gegensatz zu den letzten Tagen, als die Eltern uns das Reich überlassen hatten, blieben sie heute in unserem Kreis. Es war wirklich im Gespräch eine Freude, welches Verständnis Papa und Mama für uns junge Menschen und unsere Ideen hatten. 

Parker Lee und Ellen brachten uns dann an Bord, und es wurde wieder einmal ein ganz rührender Abschied.

 

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