4. bis Sao Francisco do Sul + Blumenau  


Rio de Janeiro 4. Dez. 34

Heute Nachmittag 6 Uhr liefen liefen wir aus. Vorher war noch ein Bordfest der gesamten Besatzung. Ich bedauerte sehr, dass niemand mehr an Land durfte, denn gerade heute wollte ich noch ein kleines Andenken von Rio kaufen. Im Gegensatz zu unserer Einfahrt war unsere Ausfahrt wunderbar schön. Es fing gerade an zu dämmern, und die Stadt strahlte schon im Lichterglanz. Die Christusfigur auf dem Corcovado wurde beeindruckend beleuchtet. Es sah seltsam aus und ich könnte mir vorstellen, dass einfache Leute, die davon nichts wissen, an eine überirdische Erscheinung glauben können. Das Lichterband am Strand entlang und weiter hinauf in die Berge war mit einer Perlenkette zu vergleichen. Zum Zuckerhut hinauf war noch ein reger Verkehr. Die Schwebewagen waren fast mit Glühwürmchen zu vergleichen. Heute hatte keiner Lust, früher schlafen zu gehen. Alle waren noch erfüllt von Rios Eindrücken.

 

Sao Francisco do Sul 7. Dez. 34 

Ganz zufällig machte ich heute die Bekanntschaft mit einem netten Mädel. Ich bummelte ein wenig durch das Städtchen und wollte schon wieder an Bord gehen. Da kam mir diese kleine Sennorita über den Weg, den Arm voll Rosen. Ich bat um eine und mit einem reizenden Lächeln bekam ich sie auch gleich überreicht. Ein wenig Deutsch sprach sie auch und im nu waren wir angeregt am Plaudern. Ich begleitete sie nach Hause und in kurzer Zeit hatten wir eine dicke Freundschaft geschlossen.

 

Sao Francisco do Sul 8. Dez. 34

Natürlich sahen wir uns heute wieder, denn 'Palmyra' hat scheinbar auch Gefallen an mir gefunden. Sie bewohnt mit ihren Eltern, die sehr deutschfreundlich sind, ein schönes luftiges Häuschen. Ich fühlte mich sehr wohl im Kreise dieser netten Leute. Ich glaube, es kommt selten vor, dass einer von uns Anschluss an eine brasilianische Familie findet, denn sonst sind die Leute allgemein sehr zugeknöpft.

 

Sao Francisco do Sul 9. Dez. 34

Heute war Hochbetrieb an Bord. Die Deutschen aus allen Ecken Katharinas waren gekommen, um unser Schiff zu besichtigen. Die meisten hatten noch kein deutsches Schiff gesehen. Ich sah manchen alten Papa, der sich eine Träne abwischte und wohl den Wunsch hatte, noch einmal Deutschland wieder zusehen. Es waren alles Arbeitsleute. Wenn man einen deutschen Arbeiter mit Frau und Kind mit diesen Leuten vergleicht, so ist kein Unterschied zu merken, obwohl schon sehr viele in zweiter oder dritter Generation hier leben. So haben sie sich ihr deutsches Volkstum bewahrt.

 

Sao Francisco do Sul 10. Dez. 34

Auch heute kamen noch viele Leute zur Schiffsbesichtigung und zum Kuchenessen, aber die meisten mussten wieder zurück zu ihrer Arbeit. Auch waren in vielen Orten Abordnungen von uns. Meine Palmyra war sehr um mein leibliches Wohl besorgt und fütterte mich mit allerlei heimischen Delikatessen, wie ausgezeichnet schmeckende geröstete Bananen.

Das Wetter war ganz angenehm, nur ist es manchmal so feuchtwarm. Ohne dass man sich rührt, bricht einem der Schweiß aus.

 

Sao Francisco do Sul 11. Dez. 34

Das Verhältnis zwischen Palmyra und mir ist ein derart Zärtliches geworden, dass sie und ihre Eltern mir allen Ernstes den Vorschlag machten, bei ihnen zu bleiben. Ich versuchte ihnen klar zu machen, dass ich nicht könne, weil ich Soldat sei. Aber ich konnte sie nicht überzeugen. Meine Flucht sollte aufs beste vorbereitet werden, und späterterhin würde es mir an nichts fehlen. Wenn ich bei der Handelsmarine wäre, würde ich ohne weiteres hier bleiben. Palmyra und ihr Vater wollen mich von Ithajahe, unserem nächsten Hafen, abholen. Hoffentlich komme ich mit nach Blumenau, sonst ist es möglich, dass die Familie Regis mich raubt. Es ist schon alles da gewesen und Brasilien hat einen so großen, undurchdringlichen Urwald.

 

Sao Francisco do Sul 12. Dez. 34

Die ersten Abteilungen waren aus den deutschen Dörfern zurück und ganz begeistert über die Aufnahme und Behandlung durch die dortigen Deutschen. Ich gehöre ganz zur Familie Regis, um den Leuten die Illusion zu lassen, tat ich so, als ob ich im nächsten Hafen von Bord ginge. Ehrlich ist es nicht, aber es ist besser für Palmyra und für mich, sonst würde das Mädel noch Dummheiten machen. Ja, die Brasilianerinnen haben das Feuer und Temperament nicht nur in den Augen, sondern sind ganz so, wie sie aussehen.

 

Sao Francisco do Sul 13. Dez. 34

Zum ersten Mal auf der bisherigen Reise war ich heute baden, mit Palmyra. Wir mussten eine halbe Stunde mit dem Wagen fahren und kamen an ein paradiesisches Stückchen Erde, weißer Sand, Palmen, blauer Himmel und Sonne - wunderschön. Wir badeten nackt, denn für uns gab es keine Geheimnisse, und andere Menschen waren nicht zu erwarten. Ich übertreibe nicht - wir waren wunschlos glücklich.

 

Sao Francisco do Sul 14. Dez. 34

Schwer, sehr schwer war für mich der Abschied von meinem Mädel, wusste ich doch, dass ich sie nicht wieder sehen würde. Palmyra weinte hemmungslos, obwoh sie nur mit zwei Tagen Trennung rechnen musste. Oder ahnte sie, dass es für immer sein würde, denn sie und ihr Vater werden vergeblich im nächsten Hafen auf mich warten..

Heute Mittag liefen wir aus und ankerten gegen Mittag vor Atajai. Von hier aus soll eine Abordnung von 250 Mann Blumenau besuchen.

 

Zwei Stunden nach dem Ankern gingen wir schon von Bord. Ich war also auch dabei und Palmyra und ihr Vater würden vergeblich auf mich warten. Mit Autobussen und Privatwagen fuhren wir nach Blumenau, wo uns die dortigen Deutschen einige unvergessliche Tage bereiteten. Schon beim Empfang jubelten die Leute uns zu, als ob wir etwas großes geleistet hätten. Ganz Blumenau war auf den Beinen und alle Häuser hatten geflaggt. Ich bin mit 2 Kameraden in einem schönen Haus etwas außerhalb beim größten Apotheker untergebracht. Ein reichlich gedeckter Abendbrottisch erwartete uns. Herrn Geter, unseren Gastgeber, hatten wir schon kennen gelernt. Seine Frau und die drei Kinder begrüßten uns freudestrahlend. Abends war die offizielle Begrüßung im Schützenhaus. Ständig musste man mit einem Landsmann Chops trinken, das sind kleine Glas Bier. Es ist gut, dass das hiesige Bier sehr leicht ist, sonst wäre man immer betrunken.

Blumenau 15. Dez. 34

Beim Frühschoppen im Vereinshaus vom Marineverein wurde unser Kommandant zum Ehrenmitglied ernannt. Natürlich wurde wieder entsprechend getrunken. Man müsste ein Loch im Magen haben, um alles verdauen zu können, was an Essen und Trinken geboten wurde. Abends großer Ball in vier Lokalen. Man konnte nach Wunsch deutsch oder brasilianisch tanzen. Herr Geter machte tapfer mit, obwohl er schon ziemlich in den Jahren ist. Er ist schon lange im Lande und erzählte manch heiteres und interessantes Stückchen aus seinem Leben. Leicht bezecht fuhren wir spät nach Hause.

 

Herr Wieland Lickfeld schickte am 16.Juni 2016 obiges Bild. Er ist Mitglied des 'Intituto Historico de Blumenau' und schreibt für das Heftchen ‘Blumenau em Cadernos’, das sechs mal jährlich erscheint und  als Ziel hat, die Erhaltung der Geschichte Blumenaus zu gewähren. Herr Lickfeld  möchte die 4. Etappe des Tagebuchs übersetzen und samt Zeitungsberichten aus Blumenau in dem Heftchen veröffentlichen.

 

 

Herr Lickfeld schrieb: 

 

"Die erwähnte Versammlung fand in Seiferts Veranda statt, dem Speisesaal des Hotel Boa Vista. Inhaber war Walter Seifert, er selbst ein Veteran der Reichs-Marine und Gründer des von Steinbach erwähnten Marinevereins Blumenau. Ich konnte Obermatrose Steinbach auf dem Foto leider nicht erkennen, er muss aber bestimmt dabei gewesen sein.

Herzliche Grüsse aus Blumenau in Brasilien"  

 

Blumenau 16. Dez. 34

Die Zeit verging wie im Fluge, weil die Stunden  restlos ausgenutzt waren. Die Freude und Begeisterung der Blumenauer blieb dieselbe wie am ersten Tag, und wir wurden auch mitgerissen. Obwohl solche Festtage sehr anstrengend sind, viel essen und noch mehr trinken, Ausflüge, nachmittags großes Sportfest und Pferderennen, abends Tanz u.s.w., dann fast keinen Schlaf, da zeigt sich erst, was ein deutscher Seemann vertragen kann. Auch machte ich die tollste Autofahrt meines Lebens. Ein Landsmann, vollkommen betrunken, bestand darauf uns nach Hause zu fahren. Ein Wunder, dass kein Unglück passiert ist. Aber das ist typisch für Brasilien, alles ist ziemlich primitiv ob Eisenbahn oder Landstraße und doch passiert selten ein größeres Unglück.

Abends wieder Tanz. Die Damen, jeden Abend in einem neuen Kleid, und wir sind Kavaliere und erkennen es an. Auch diese Nacht gab es fast keinen Schlaf. 

 

Blumenau 17. Dez. 34

Heute morgen hieß es frisch sein, sollten doch die Deutschen im Landesinneren besucht werden. In kleineren Abteilungen rollten wir im Autobus los. Diese Stunde wurde noch zu einem kleinen Auge voll Schlaf benutzt, denn die Leute sollten frische Seeleute sehen. Im Örtchen Timbo freuten sie sich schon wochenlang auf unser Kommen. Alle Schulkinder, sowie der Jünglings- und Jungmädchenverein bildeten Spalier. Nach einer feierlichen Begrüßung zogen wir, die Schützenfahne und noch andere voran, zum Schützenhaus, einem luftigen Bretterbau. Das hatte aber keinen Einfluss auf die Stimmung, die war großartig. Wenn auch die Musik ausblieb, wir tanzten nach einem Bandoneon genau so gut. Der Spießbraten und das Huhn waren sehr zart und lecker. Das Bier schmeckte wie nie. Als unser Filmmann, Oblt. Weingärtner, auftauchte und einige Aufnahmen machte, freuten wir uns wie die Kinder. Wie immer mussten wir auch hier viel von Deutschland erzählen. Nur zu rasch vergingen die Stunden. Nach endlosem Händeschütteln fuhren wir zurück nach Blumenau. 

Hier wurde weiter gefeiert. Selten war nachts wohl so viel Betrieb auf den Straßen wie diesmal. Um drei Uhr schlug unsere Scheidestunde, und wir fuhren zurück nach Ithajahi. Wir wussten, noch viele schöne Häfen würden wir besuchen, aber würde wohl die Aufnahme derartig herzlich und freudig sein wie gerade in der deutschen Kolonie Blumenau?

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